Erschienen in bild der wissenschaft 1/1999. Hier als PDF zum Herunterladen: 1999_bdw_Maennlichkeit
Macht Radfahren impotent? Ein amerikanischer Spezialist behauptet, durchschnittlich sechs Patienten pro Woche zu haben, deren Erektionsstörungen die Folge vom Druck eines Fahrradsattels sind.
Irwin Goldstein spricht vom Radfahren in dem gleichen Tonfall, den andere Mediziner für das Rauchen reserviert haben – so berichteten die Journalisten des amerikanischen Radfahrer Magazins „Bicycling“, nachdem sie vor gut einem Jahr mit ihm zusammentrafen. Der Inhalt seiner Worte entsprach dem Ton: Kein Mann sollte radfahren, eröffnete der Professor vom Boston Medical Center den entsetzten Reportern. Denn es könne dazu führen, daß er keine ausreichende Erektion mehr bekäme. Das Echo in den US-Medien war laut. Doch Goldstein zog deswegen nicht den Kopf ein. Er blieb bei seiner Botschaft. Und jetzt legt er sogar noch einen weiteren Scheit ins Feuer: „Je mehr wir den Zusammenhang zwischen erektiler Fehlfunktion und Radfahren erforschen, umso mehr erkennen wir, wie weit verbreitet Impotenz durch Radfahren wirklich ist.“ Schuld soll der Sattel sein. Er drückt, so Goldstein, auf den Damm des Fahrers – die Körperregion zwischen After und Hoden. Dort aber verlaufen sowohl die Adern, durch die der Schwellkörper des Penis mit Blut versorgt wird, als auch die Nerven, die die Erektion auslösen. Während beim normalen Sitzen auf einem Stuhl das Körpergewicht auf den Sitzknochen liegt, sei es beim Fahrradfahrer auf die Region dazwischen verlagert, also auf die Mitte des Beckens.
Goldstein beruft sich vor allem auf Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen, die er bei Testpersonen durchgeführt hat. Danach gilt: Schon wenn nur elf Prozent des Körpergewichtes eines Mannes auf seinem Damm lasten, wird die Arterie, die den Penis mit Blut versorgt, zusammengepreßt. Wenn sich ein Mann auf einen schmalen und ungepolsterten Fahrradsattel setzt, verringert sich die Blutzufuhr um durchschnittlich 66 Prozent. Selbst ein breiter und gepolsterter Sattel kann die Durchblutung des Penis um 25 Prozent drosseln.
Der Bostoner Urologe gibt allerdings selbst zu: Seine Ergebnisse beweisen nicht, daß das Sitzen auf dem Sattel impotent macht. Denn dazu müßten Blutgefäße oder Nerven nicht nur während des Radfahrens in ihrer Funktion beeinträchtigt sein, sondern dauerhaft geschädigt werden. Doch Goldstein ist überzeugt, daß genau das passieren kann – vor allem bei langem und regelmäßigem Radfahren. Seine Ansicht wiegt schwer, denn er ist ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet männlicher Sexualitätsstörungen: So erhielt er bereits zwei Mal den Preis für klinische Forschung der „American Urological Association“. Außerdem ist er zweifacher Gewinner eines Wettbewerbs der Internationalen Gesellschaft für Impotenzforschung, und er gehörte zum Ärzteteam, das Ende der achtziger Jahre die „Massachusetts Male Aging Study“ durchführte – eine umfassende Untersuchung über Impotenz, Gesundheit und Lebenstil von über 1700 Amerikanern im Alter zwischen 40 und 70 Jahren. Nicht zuletzt ist er Gastprofessor an elf Universitäten – darunter auch eine italienische und eine israelische.
Im Clinch mit der Fahrradindustrie
Doch Goldsteins Haltung gegenüber dem Radfahren ist durchaus angreifbar. Denn die Ergebnisse, auf die er sich schon bei seinem Gespräch mit den „Bicycling“-Journalisten berief, hat er noch in keiner medizinischen Fachzeitschrift veröffentlicht – ein unter Wissenschaftlern streng verpönter Lapsus. Denn Fachkollegen können so die Stichhaltigkeit seiner Erkenntnis nicht überprüfen. Zudem war Goldstein Ende der achtziger Jahre schon einmal schlagzeilenträchtig mit der Fahrradindustrie aneinander geraten, als er forderte, daß die obere Querstange bei Herrenrädern entfernt oder zumindest gut gepolstert werden müsse. Der Grund waren Verletzungen im Genitalbereich, die sich Radfahrer durch Stürze auf die Stange zugezogen hatten. Der Verdacht liegt nahe, daß da ein Arzt einen Feldzug gegen Herstellerfirmen führt.
Immerhin erhärtet eine Studie norwegischer Mediziner, die in der Fachzeitschrift Acta Neurologica Scandinavica veröffentlicht wurde, Goldsteins Thesen. Zwei Neurologen vom Trondheimer Universitäts-Hospital verteilten Fragebögen unter 260 Mitgliedern von RadClubs, die an einem jährlich ausgerichteten Non-Stop-Rennen über 540 Kilometer teilnahmen. 160 Männer schickten den Fragebogen ausgefüllt zurück. 33 von ihnen – 21 Prozent – klagten über Gefühllosigkeit im Genitalbereich. Die meisten hatten schon nach früheren Touren erlebt, daß ihr Penis längere Zeit gefühllos war. Einer litt noch vier Monate nach dem Rennen darunter. Immerhin 13 Prozent der Rücksender berichteten über Impotenz nach der Tour- die Hälfte von ihnen war jünger als 35 Jahre. Bei 11 Männern – 7 Prozent – hielt die Impotenz länger als eine Woche an. „Impotenz und Gefühllosigkeit des Penis sind im Radsport wahrscheinlich häufiger als bisher angenommen“, folgern Kjeld Andersen und Gunnar Bovim aus ihrer Studie. Unterstützung für den amerikanischen Urologen kommt auch aus Deutschland. Fahrradsattel seien tatsächlich nicht gut auf die männliche Anatomie zugeschnitten, sagt Prof. Eberhard Nieschlag, Facharzt für Männerheilkunde an der Universität Münster. Und der Hamburger Urologe Prof. Hartmut Porst ist überzeugt: „Goldstein hat den Zusammenhang zwischen Satteldruck und mangelnder Blutversorgung des Penis eindeutig bewiesen.” Porst traf seinen amerikanischen Kollegen Ende Oktober in Boston, wo dieser auf einem Kongreß seine Ergebnisse vorstellte.
Auf der anderen Seite weisen beide deutsche Experten ausdrücklich darauf hin, daß nur Dauerradfahren tatsächlich zu Potenzproblemen führen können. Profis seien gefährdet oder Amateure, die mehr als 40 Stunden wöchentlich mit dem Rad unterwegs sind. Demgemäß sagt Nieschlag: „Die Praxen und Klinik-Ambulanzen sitzen keineswegs voll mit Radfahrern, die impotent sind.“ Goldstein dagegen spricht davon, wöchentlich durchschnittlich sechs Patienten zu behandeln, die durch Radfahren Erektionsproblem bekommen haben. Für Hartmut Porst ist das ein auflösbarer Gegensatz: Wegen Goldsteins gutem Ruf kämen Patienten aus ganz Nordamerika mit ihrem speziellen Problem zu ihm – kein anderer Arzt behandele vergleichbar häufig impotente Radfahrer.
Fast alle Mediziner sind sich einig, daß wegen eines eventuellen Impotenz-Risikos niemand auf das Radfahren verzichten sollte. Denn der gesundheitliche Nutzen des Radfahrens ist groß – speziell für Herz und Kreislauf. Sie raten aber, möglichst einen breiten Satten zu benutzen, der so tief positioniert ist, daß die Beine beim Treten der Pedale niemals völlig gestreckt sind. Als günstig gilt auch, beim Fahren alle zehn Minuten eine Pause einzulegen und kurz aufzustehen, damit das Blut besser zirkulieren kann.
Dr. Frank Frick, Medizinjournalist