In der Februar-Ausgabe 2021 von bild der wissenschaft erschien ein zweiter Artikel von mir über Covid-19-Impfstoffe. Er beantwortet folgende Fragen:
- Wieso ging es jetzt so schnell mit der Impfstoffentwicklung?
- Leidet die Sicherheit unter der schnellen Entwicklung der Vakzine?
- Wie funktionieren RNA-Impfstoffe? Greifen Sie ins Erbgut ein?
- Sind Geimpfte noch ansteckend?
- Besteht Gewissheit, dass die Impfung die Zahl der schweren Verläufe und Todesfälle reduziert?
- Was lässt sich über Langzeit-Nebenwirkungen der Impfstoffe sagen?
- Wie lange hält der Impfschutz an?
- Wie groß ist die Impfakzeptanz?
COVID-19: Die Jagd nach dem Impfstoff
Artikel in der Juni-Ausgabe 2020 von bild der wissenschaft, stark gekürzte und leicht abgewandelte Fassung
Die große Hoffnung ist, dass Impfstoffe gegen das neuartige Corona-Virus SARS-CoV-2 rasch zur Verfügung steht. Zu Recht?
Die Prognosen, wann der erste Impfstoff gegen den Erreger von Covid-19 erhältlich sein wird, sind unterschiedlich. Am weitesten preschte Dietmar Hopp vor, bekannt als umstrittener Sponsor des Bundesliga-Fußballclubs 1899 Hoffenheim. Hopp, Mehrheitseigner des Tübinger Pharmaunternehmens CureVac, sagte im März 2020: „Wenn alles glatt läuft, kann der Impfstoff im Herbst zur Verfügung stehen.“
Der Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, hatte kurz zuvor davon gesprochen, dass der erste Impfstoff gegen SARS-CoV-2 in 18 Monaten – also im Spätsommer 2021 – fertig sein könnte. Das wäre immer noch eine märchenhaft kurze Zeit, wenn man auf die Entwicklung anderer Impfstoffe schaut. Den Rekord hält wohl bislang das Vakzin Ervebo gegen Ebola: knapp fünf Jahre. Anlass seiner Entwicklung war ein verheerender Ebola-Ausbruch 2014 in Westafrika, bei dem über 11 000 Menschen starben. Ende 2019 ließ die EU Ervebo zu.
Trotz jahrzehntelanger Bemühungen keine Impfstoffe gegen HIV, Malaria und Tuberkulose
Im Schnitt dauert es elf Jahre, einen Impfstoff zur Marktreife zu entwickeln. Ein Durchschnittswert von nahezu 11 Jahren Entwicklung bedeutet, dass manchmal 15 Jahre benötigt wurden – etwa beim Vakzin gegen humane Papillomaviren (HPV) zur Vorbeugung gegen Gebärmutterhalskrebs. Davon abgesehen: Gegen das Aidsvirus HIV oder die Erreger von Malaria und Tuberkulose gibt es trotz jahrzehntelanger Bemühungen von Wissenschaftlern weltweit immer noch keinen zugelassen Impfstoff.
Das wäre wie ein 10000-Meter-Lauf in 8 Minuten
Was es hieße, wenn tatsächlich noch im nächsten Jahr ein Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus zugelassen würde, illustriert eine Metapher: Ein trainierter 30-jähriger Freizeitsportler läuft 10000 Meter in rund 55 Minuten – zumindest ist das die Anforderung des Deutschen Sportabzeichens. Der Äthiopier Kenenisa Bekele hat bei seinem Weltrekord für diese Strecke noch nicht einmal halb so lang gebraucht, nämlich 26 Minuten und 18 Sekunden. Und nun soll es auf einmal einen Menschen geben, der diese Strecke in 8 Minuten läuft? So unmöglich das klingt – bei der Impfstoffentwicklung ist solche eine immense Steigerung der Schnelligkeit zumindest denkbar.
Besonders verbreitet ist der Hinweis auf die außergewöhnliche globale Anstrengung von Wissenschaft und Wirtschaft. „Es hat noch nie eine Lage gegeben, in der so viele Firmen so schnell – auch in gegenseitiger Zusammenarbeit – ein solches Problem angegangen sind“, stellte in einer Hörfunk-Diskussion Siegfried Throm fest, Geschäftsführer Forschung, Entwicklung und Innovation des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen in Deutschland (vfa).
Immense internationale Anstrengungen garantieren noch keinen Erfolg
Dass ein Impfstoff gegen den Covid-19-Erreger schon allein deshalb bald verfügbar sein wird, weil es so viele und so verschiedenartige internationale Forschungsprojekte gibt, ist allerdings anzuzweifeln. Das zeigt ein Seitenblick auf MERS, das seit 2012 bekannte „Middle East Respiratory Syndrom“, hervorgerufen von einem Coronavirus: Malaiische Wissenschaftler haben letztes Jahr in einem Übersichtsartikel die Forschungsaktivitäten zur Entwicklung eines entsprechenden Impfstoffes zusammengetragen – und kamen dabei immerhin auf 40 Projekte.Obwohl die Forschungsarbeiten teilweise schon 2013 begannen und meist schon einige Jahre andauern, existiert bisher keine zugelassene Impfung.
Eine solche Impfung gibt es auch nicht für das Coronavirus, das für das 2002 aufgetretene „Severe Acute Respiratory Syndrome“ (SARS) verantwortlich ist. Der Grund dafür liegt allerdings nicht in langen oder vergeblichen Entwicklungsbemühungen. Sondern darin, dass es ab 2004 keine neuen SARS-Infektionen mehr gab. Somit wurden alle 22 angelaufenen Projekte gestoppt – aus finanziellen Gründen und obwohl es prinzipiell zu einem erneuten Übertritt des Virus von Fledermäusen oder Wildkatzen auf den Menschen kommen könnte.
Genbasierte Impfstoffe
Paradoxerweise hängen viele Hoffnungen auf eine neue Rekordzeit bei der Impfstoffentwicklung mit den bislang noch nicht endgültig erfolgreichen Technologien zusammen – Fachleute nennen sie gerne Plattformen –, die Wissenschaftler aufgrund der SARS- und MERS-Ausbrüche entwickelt haben. Das Erbgut des Virus SARS-CoV-2 stimmt beispielsweise mit dem SARS-Virus von 2003 zu 82 Prozent überein – 82 Prozent der RNA-Bausteine sind also identisch. Das heißt auch: Die Wissenschaftler haben bei ihrer Arbeit an Impfstoff-Plattformen gegen SARS und MERS schon eine ganze Menge von Vorarbeiten erledigt und Erfahrungen gesammelt, die sie bei Covid-19 nutzen können. Das gilt insbesondere für diejenigen unter den Forschern, die auf genbasierte Impfstoffen gesetzt haben.
Diese Art von Impfstoffen enthält ausgewählte Gene des Krankheitserregers in Form von DNS (Desoxyribonukleinsäure) oder mRNS (Boten- oder Messenger-Ribonukleinsäure). Werden sie einem Menschen injiziert, so die Hoffnung der Wissenschaftler, bildet der Körper daraufhin ungefährliche Virusproteine. Diese sollen dann wiederum wie herkömmliche Totimpfstoffe bewirken, dass der Körper einen Immunschutz aufbaut. Auf solche RNS-Impfstoffe baut etwa CureVac, aber beispielsweise auch das Mainzer Unternehmen BioNTech, das bei der Impfstoffentwicklung mit dem US-Pharmariesen Pfizer zusammenarbeitet. Ob das Konzept von genbasierten Impfstoffen tatsächlich praxistauglich ist, muss sich allerdings erst noch erwiesen: Bislang gibt es auf dem Markt noch gegen keine Krankheit einen solchen Impfstoff.
Fortschritte bei den Methoden und Plattformen sind jedoch nur die eine Säule der Zuversicht. Die zweite Säule basiert darauf, dass die weltweiten Aktivitäten seit 2017 besser koordiniert und finanziert werden als zuvor. Denn zuvor gab es ein Problem: „Die Entwicklung von Maßnahmen gegen neu auftretende Infektionskrankheiten war für Hersteller wegen der sporadischen Krankheitslast und der langwierigen, riskanten und kostspieligen Produktentwicklung kommerziell unattraktiv“, so führende Experten um Dimitrios Gouglas in einem Artikel der Fachzeitschrift „Epidemiologic Review“. Und schreiben weiter: „Vor den klinischen Ebola-Studien war niemals ein Impfstoff so rechtzeitig entwickelt worden, dass er den Verlauf eines neuen Krankheitsausbruchs ändern konnte.“
Koalition unter Beteiligung der Bill und Melinda Gates Stiftung
Daher gründete sich 2017 die „Coalition for Epidemic Preparedness Innovations“ (CEPI, deutsch; Koalition für Innovationen in der Epidemie). Sie bringt Staaten, Stiftungen, Forschungseinrichtungen und Pharma-Unternehmen zu einer öffentlich-privaten Partnerschaft zusammen. Finanziert unter anderem von Deutschland, Norwegen, Japan, Kanada, Australien, der Bill und Melinda Gates Stiftung und dem Wellcome Trust, hat sie nach eigenen Angaben allein in den ersten vier Monaten der Covid-19-Pandemie rund 640 Millionen Euro für die Impfstoffentwicklung bereitgestellt.
Schließlich gibt es noch eine dritte Säule, auf der die Hoffnung auf eine Fabelzeit in der Impfstoffentwicklung ruht: Angesichts der Dringlichkeit und Bedeutung eines Impfstoffes gegen das neuartige Coronavirus könnte der streng regulierte Ablauf der verschiedenen Phasen geändert und damit beschleunigt werden. So ging Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, gleichzeitig und nicht nacheinander an Tier und Mensch zu testen. Und man könne auch bei den klinischen Prüfungen Sicherheit und Wirksamkeit parallel prüfen. Letztlich bleibt es an den Behörden, abzuwägen, inwieweit die schnelle Verfügbarkeit eines Impfstoffs das Risiko auftretender Nebenwirkungen rechtfertigt.