Enthusiasten sprechen bereits von einer industriellen Revolution: 3D-Druck wandelt individuelle Computerentwürfe unmittelbar in Produkte um.
erschienen in bild der wissenschaft plus, 1-2014
Kleinlaut ist Shapeways nicht. In einer Mitteilung der 80-Mitarbeiter-Firma aus New York heißt es unter der Überschrift „3D-Druck verändert die Welt“: „Im letzten Jahrhundert hatten große Unternehmen das Sagen: Sie ermittelten, was die Konsumenten wollten und stellten diese Produkte in großer Zahl in Massenfertigung her. Dank 3D-Druck sind diese Zeiten nun vorüber.“
Das Geschäft von Shapeways: Via Internet nimmt das Unternehmen Dateien entgegen und füttert damit 3D-Drucker. Diese bauen aus dem jeweiligen digitalen Entwurf schichtweise einen Gegenstand aus Kunststoff oder Metall auf, der anschließend an den Einsender der Datei ausgeliefert wird. Logisch, dass diesen Service niemand in Anspruch nimmt, um etwas herzustellen, das es preiswerter und qualitätsgeprüft im Laden oder im Internet-Shop zu kaufen gibt. Was Shapeways attraktiv macht, ist die Möglichkeit, individuell gestaltete, einmalige Produkte herzustellen. Selbst entworfene Smartphone-Schutzhüllen, Vasen, Schmuck, Eierbecher oder kleine Skulpturen sind derzeit die Renner. Dies offenbart ein Blick auf die Internet-Seiten von Shapeways über die Produktdesigns.
3D-Druck für den Heimbedarf
Das Unternehmen steht im Wettbewerb mit vergleichbaren Anbietern. Doch nicht nur das: 3D-Drucker, die inzwischen ab 400 zu haben sind, produzieren für den Heimbedarf. Darüber hinaus gibt es mindestens 150 nicht-kommerzielle Werkstätten in aller Welt, sogenannte Fab Labs. „Personal Fabrication könnte die nächste Revolution in der Produktion werden … In Fab Labs (Fabrication Laboratories) kannst Du die Basistechnologie dieser Revolution schon heute selbst ausprobieren“, wirbt das älteste deutsche Fab Lab an der RWTH Aachen: Gründungsjahr 2009. Wer möchte, kann dort nach Anmeldung an einem Tag der Woche 3D-Drucker und weitere Geräte nutzen, um zum Materialkosten-Preis seine selbstentworfenen Produkte zu erschaffen.
Die Drucker in den üblichen Fab Labs eignen sich wie die Heimgeräte nur zur Herstellung von kleinen Kunststoff-Objekten: Sie pressen geschmolzenen Kunststoff durch eine Düse, die meist kleiner als einen Millimeter ist, auf eine Platte. Die Düse fährt, während die Platte abgesenkt wird, hin und her. So entsteht entsprechend dem digitalen Bauplan schichtweise ein räumliches Objekt – ein Verfahren, das Fachleute meistens FDM nennen („Fused Deposition Modeling“ (salopp eingedeutscht: Schmelzablage-Verfahren).
Ventil aus Metallpulver
Objekte und Bauteile aus Kunststoff machen nur einen Teil unserer Warenwelt aus. Doch auch für metallische Objekte existiert ein 3D-Druck-Verfahren – das „Selective Laser Melting“ (SLM). Und das funktioniert so: Feines Metallpulver wird auf eine Platte aufgetragen. Dann schmilzt ein Laser dieses Pulver entsprechend den Computerdaten auf. Das Metall erstarrt und bildet eine feste Schicht. Anschließend senkt sich die Platte um einen programmierten Wert, die nächste Lage Pulver wird eingetragen und der Laser bestrahlt nach den Computervorgaben erneut das Pulver. Aus den vielen Wiederholungen erwächst etwa ein Druckluftventil oder ein chirurgisches Instrument. Für das private Portemonnaie sind SLM-Drucker freilich noch zu teuer. Sie kosten mindestens 100 000, aber auch schon mal eine Million Euro.
In seiner Rede zur Lage der Nation am 12. Februar 2013 adelte US-Präsident Barack Obama den 3D-Druck und sprach ihm das Potential zu, „den Weg zu revolutionieren, auf dem wir fast alles fertigen.“ Das britische Wochenmagazin „The Economist“ malt in einem Leitartikel vom April 2012 sogar eine Welt aus, in der aufgrund der 3D-Technologie alle stupiden Fabriktätigkeiten entfallen und die Produktion aus den Billiglohnländern zurückkehrt an die Orte, die nahe am Kunden sind.
Als typisch für Wissenschaftler mag die Zurückhaltung gelten, mit denen deutsche Forscher reagieren, wenn sie auf enthusiastische Vorhersagen zur Bedeutung der 3D-Druckverfahren angesprochen werden: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Menschen noch nicht so viel mit den Freiheiten anfangen können, die ihnen 3D-Druckverfahren bieten – vermutlich weil sie stark vom üblichen Konsumverhalten geprägt sind“, sagt Andreas Fischer vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). Er und sein Team haben im August 2012 in einer Stuttgarter Buchhandlung interessierten Kunden angeboten, mittels eines FDM-Druckers eigene Produktideen zu verwirklichen, bei Bedarf mit kostenpflichtiger Hilfe eines Wissenschaftlers.
„Darauf ist kaum jemand eingegangen, obwohl die zugleich von uns durchgeführte Umfrage gezeigt hat, dass die Menschen grundsätzlich positiv gegenüber dem Verfahren eingestellt waren“, berichtet Fischer. Die Ergebnisse der Umfrage verdeutlichen einige Barrieren für potentielle 3D-Druckshops. So sahen etwa 60 Prozent der Befragten die eingeschränkte Gewährleistung auf die gefertigten Produkte als Hinderungsgrund.
An der Software gescheitert
Tatsächlich gibt es im Alltag noch eine ganz andere Hürde bei dem Weg von der Idee zum einmaligen Produkt. 3D-Druck-Experte Dr. Wilhelm Meiners vom Aachener Fraunhofer-Institut für Lasertechnik (ILT) ist selbst darüber gestolpert. „Mir fiel vor kurzem auf, dass ich in meinem privaten Umfeld nicht ein einziges SLM-Bauteil im Einsatz habe, obwohl ich beruflich seit fast 20 Jahren an diesem Verfahren arbeite“, erzählt er. Daraufhin habe er beschlossen, sich für sein Mountainbike einen Lampenhalter auszudrucken: „Doch das ist schlichtweg daran gescheitert, dass ich kein 3D-CAD-Programm bedienen kann, um am Computer den Bauplan zu entwerfen. Schließlich bin ich kein ausgebildeter Konstrukteur.“
Meiners gehört zu den Vätern des SLM-3D-Druckverfahrens. Sein Team am Fraunhofer-Institut ILT hat es entwickelt und 1996 zum Patent angemeldet. Sechs Firmen, davon allein vier in Deutschland, bauen derzeit entsprechende Geräte. Diese wurden von der Industrie ursprünglich vor allem eingesetzt, um damit Muster oder Prototypen von neu designten metallischen Bauteilen oder Produkten zu fertigen – direkt aus den Konstruktionsdaten, ohne manuelle Umwege und damit schnell. Von „Rapid Prototyping“ sprechen daher Fachleute. „Inzwischen geht es zunehmend darum, das SLM-Verfahren auch für die industrielle Fertigung von Endprodukten in höherer Stückzahl einzusetzen“, sagt Meiners. Sein Team hat in Kooperationsprojekten mit der Industrie bewiesen, dass SLM-Produkte die gleichen Gebrauchseigenschaften haben, wie auf andere Weise gefertigte Serienprodukte.
In der Medizintechnik hat das Metalldruck-Verfahren den Sprung zum Fertigungsverfahren schon geschafft, auch durch technologische Unterstützung der Aachener Fraunhofer-Forscher: Statt sie zu gießen oder zu fräsen, stellen Zahntechnik-Unternehmen die metallischen Gerüste für Zahnbrücken heute üblicherweise mit SLM her. Und es gibt Unternehmen, die Hüftpfannen aus Titan gleichsam ausdrucken. Solche Medizinimplantate müssen stets individuell angepasst werden. Gegenüber einer handwerklichen Einzelteilanfertigung ist SLM schon oft kostengünstiger.
Wo es nicht um individuelle Produkte geht, ist die Fertigung per SLM-Druck dagegen meist noch zu teuer: Denn anders als üblicherweise kostet die Herstellung des zehntausendsten Exemplars eines Produktes genauso viel wie die eines einzigen Exemplars. Und es dauert sehr lange, bis ein Produkt ausgedruckt ist – obwohl die Fraunhofer-Entwickler zusammen mit den Herstellern die Geschwindigkeit der SLM-Geräte in den letzten Jahren bereits um das Fünffache steigern konnten. Dennoch braucht ein solches Gerät etwa einen Tag, um einen zehn mal zehn mal zehn Zentimeter großen, komplex geformten Metallgegenstand aus dem Pulver zu formen.
Gedruckte Düsen am Jet
Aber manchmal kann sich ein Serienausdruck dennoch schon heute bezahlt machen, weil die innovativ gefertigten Produkte den konventionellen überlegen sind. So hat das Unternehmen GE Aviation angekündigt, im neuen Flugzeugtriebwerk namens LEAP, das ab 2016 in Serie gehen soll, 20 Kraftstoffdüsen einzusetzen, die mittels SLM-Verfahren gefertigt werden. „Die LEAP-Kraftstoffdüse ist bis zu 25 Prozent leichter und fünfmal haltbarer als herkömmlich gefertigte Kraftstoffdüsen, was zu deutlichen Treibstoffeinsparungen führt“, heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens. Meiners bestätigt: „Tatsächlich lassen sich mit SLMVerfahren auch neuartige, sehr kompliziert geformte Leichtbau-Konstruktionen verwirklichen. Und anders als üblicherweise sinken beim SLM-Verfahren mit der Gewichtsreduktion die Fertigungskosten.“ Die Aachener Forscher sind mit der Automobilindustrie im ständigen Austausch, welche rentablen Einsatzgebiete es für das Verfahren gibt.
Die Stuttgarter Fraunhofer-Kollegen vom IPA verdanken der Kombination von 3D-Druck und Leichtbau ihren bislang größten öffentlichen Coup: Gemeinsam mit dem Unternehmen Festo hatten sie den Prototypen eines besonders leichten, feinfühligen und flexiblen Roboterarms nach dem Vorbild des Elefantenrüssels entwickelt und die einzelnen Strukturelemente des Arms mittels 3D-Druck gefertigt. Der Bundespräsident verlieh den Teamleitern dafür 2010 den Deutschen Zukunftspreis.
Inzwischen beschäftigen sich die IPA-Forscher mit dem Thema Leichtbau durch 3D-Druck noch auf ganz andere Weise. Andreas Fischer und sein Team haben einen speziellen Schmelzkopf für FDM-Geräte entwickelt. Dadurch kann man auch Bauteile mit integrierten Endlosfasern ausdrucken, also faserverstärkte Kunststoffe. Bislang konnte man mit dem FDM-Verfahren lediglich herkömmliche Kunststoffe verarbeiten. Faserverstärkte Kunststoffe sind nicht schwerer, aber zugfester und stabiler als normale Kunststoffe. Viele von uns kennen diese Verbundmaterialien, weil daraus Rennrad-Rahmen, Tennisschläger oder Inlineskates gebaut werden. Doch am meisten profitieren Luft- und Raumfahrt sowie der Automobilbau, weil die Materialien dort helfen, Gewicht und somit Kraftstoff einzusparen.
Roboter mit Schmelzkopf
„Bauteile aus Verbundmaterialien werden heute oft mit einem großen Anteil vergleichsweise teurer Handarbeit produziert – nun steht mit dem 3D-Faser-Druck eine Alternative in den Startlöchern“, sagt Fischer. Eine Alternative, mit der dank einer weiteren Stuttgarter Idee auch bis zu zwei Meter große Gegenstände hergestellt werden können: Der Arm eines Industrieroboters bewegt den speziellen Schmelzkopf nach den Anweisungen des Computers hin- und her. „Unsere Vision ist eine Fabrik von Robotern, die dreidimensional drucken“, sagt Fischer. Mit ihren Aktivitäten helfen die Fraunhofer-Forscher in Stuttgart und Aachen, das Geschäft mit dem 3D-Druck nicht allein den US-Amerikanern zu überlassen. weiter rasant wachsen kann. Rund acht Milliarden Euro wird die Branche 2021 voraussichtlich umsetzen, so die Prognose von Marktforschern der US-Beratungsfirma Wohlers. Bis dahin soll der Umsatz der 3D-DruckIndustrie von 2010 bis 2012 durchschnittlich im zweistelligen Prozentbereich wachsen. Das wäre zwar viel, aber nicht Ausdruck einer industriellen Revolution. Doch die Forscher bei Fraunhofer erweitern die Möglichkeiten der Technologie – und verändern damit womöglich die Welt mehr, als es Analysten und Unternehmensberater ahnen können.
Dr. Frank Frick, Technikjournalist